Blog prof. René Prêtre
Mission Kambodscha 2017, 5. Dezember
Post by René Prêtre
Dienstag, 5. Dezember
8 Uhr
Eine schlechte Nacht – wie die Nacht zuvor.
Erwachen um 2 Uhr morgens. Urplötzlich; die Augen weit aufgerissenen; widerspenstig; trotz Leseversuchen unmöglich, mich wieder zu beruhigen … und dies bis mich gegen 5 Uhr – endlich – der Schlaf wieder überrollte. Diesmal schwer wie Blei. Ich befinde mich noch immer im Tiefschlaf, als der Wecker schrillt. Einfach nur unangenehm: der heisere Ton, dann die beschwerlichen Bewegungen, um ihn auszuschalten, die Augen, die sich öffnen müssen, obwohl die Lider wie zugeklebt sind.
Ich setze mich auf den Bettrand, schüttle mich ein wenig und stehe dann etwas taumelnd auf. Ich habe nicht den Mut, den Duschhahn auf «kalt» zu stellen und beschliesse deshalb, mich auf sanftere Weise wieder zusammenzukehren.
Frühstück mit dem Team: Ich bin nicht der einzige, der mitten in der Nacht aus dem Gleichgewicht geraten ist. Ich bin also nicht das einzige Jetlag-Opfer.
Die Morgenvisite verläuft ziemlich zügig; nur eine Kleine bereitet uns Sorgen. Aber wirklich grosse Sorgen. Seit einigen Tagen schon ist sie intubiert und ihr Zustand verschlechtert sich zusehends. Eine Korrektur ihrer Herzfehlbildung wäre nicht so schwer, aber ihr Herz ist dermassen schwach geworden, dass sie mit den hier vorhandenen Mitteln nicht mehr «operierbar» ist. Wir beschliessen, mit der tiefen Narkose fortzufahren und hoffen, dass sie sich etwas erholt.
Der Operationssaal. Ich werfe einen Blick rein. Yann ist gerade dabei, das erste Kind für heute operationsfertig zu machen. Für heute ist eine eher problematische Operation angesagt. Wir werden sehen. Ich habe gerade noch einige Minuten Zeit, um mich im Materialraum an den Computer zu setzen und ein paar Zeilen zu schreiben.
14 Uhr
Für eine problematische Operation war diese wirklich äusserst problematisch. Ich bin erschöpft – psychisch erschöpft. Nichts hat geklappt wie vorgesehen. Wir mussten ständig die Strategie ändern, um entweder die Herzdehnung zu regulieren, den plötzlich zusammenbrechenden Blutfluss zu stabilisieren oder aber die «Überflutungen» des Operationsbereiches in den Griff zu bekommen.
Die uns zur Verfügung stehenden diagnostischen Mittel hatten uns nicht alles enthüllt. Bei weitem nicht. Die vorhandene Anomalie der Blutgefässe – die wir bei uns mit unseren ultramodernen Geräten ausmachen und noch vor der Operation beheben können – wurde nicht entdeckt und die kontinuierliche Blutversorgung verkomplizierte die Sache enorm. Immer wieder mussten neue Kompromisse eingegangen werden zwischen dem Blutdruck, der durch diese Gefässe hervorgerufenen Blutung und der intrakardialen Struktur. Nach vier Stunden Kampf ohne Pause sind mein Gehirn (und meine Nebennieren) nun ausgelaugt.
Daher verschieben wir die andere für heute vorgesehene grosse Operation auf morgen. Wir müssen bei einem anderen Kind noch eine mangelhafte kardiale Reparatur wiederholen. Diese Aufgabe ist einfach auszuführen und wird nicht den ganzen Nachmittag in Anspruch nehmen. Vor allem werden meine Nebennieren nicht mehr so ausgequetscht, und ich habe eine kleine Verschnaufpause.
Ladin drängt mich. Er möchte mir noch vier Dossiers unterbreiten. Ich kenne seine Dossiers! Das sind die Fälle, die er sich nicht alleine zutraut. Es sind immer Fälle die «von aussen» gekommen sind. Fälle, mit denen ich selbst Mühe habe, weil … ich selbst noch nie solche Fälle zu Gesicht bekommen habe!
Bei uns werden all diese Kinder schon sehr viel früher operiert, lange bevor die durch Ermüdung und Überlastung hervorgerufenen Verletzungen entstehen, die das Krankheitsbild noch zusätzlich verkomplizieren. Hier sind die Fälle grotesk, denn so sehr sie hier Zeit und Fälle selber einteilen können, müssen danach oft Anpassungen vorgenommen werden, die am Ende nicht mehr lösbar sind.
19 Uhr
Die zweite Operation verläuft ohne Probleme. Kurzer extrakorporaler Kreislauf, ein beim Ausschalten der Herz-Lungen-Maschine kräftiges Herz, ein perfektes Ergebnis bei der Ultraschall-Kontrolle. Er wird uns keine Probleme mehr bereiten.
Zurück auf der Intensivstation. Das Kind von heute Morgen schläft noch, aber es ist stabil. Sein Blutdruck ist stabil und alle Organe «schnurren» normal. Das ist in der Tat sehr befriedigend, denn ich habe etwas gezögert, diesen Fall unter den kambodschanischen Umständen überhaupt anzunehmen. Verhältnisse, in denen uns nicht alle diagnostischen und vor allem nicht alle therapeutischen Mittel zur Verfügung stehen, angefangen bei gewissen Medikamenten, die hier viel zu spärlich oder gar nicht vorhanden sind.
Wir treffen uns in einer halben Stunde wieder. Dann gehen wir in ein Restaurant, das von einem Verein geführt wird, der Strassenkindern eine Ausbildung ermöglicht und ihnen Arbeitsplätze bietet. Das wird unsere gute Tat des Tages.