Blog prof. René Prêtre

Dez 17 2016

MISSION KAMBODSCHA 2016, 17. DEZEMBER

Post by René Prêtre

Dez 17 2016

Mein letzter Tag vor Ort.

Wir treten unseren Heimweg nicht alle gleichzeitig an. Während die Pflegefachfrauen ihren Aufenthalt noch etwas verlängert haben, um die Tempel von Angkor zu besichtigen, sind drei Teammitglieder bereits heute früh zurückgeflogen.

Die diesjährige Mission wurde wegen einer anderen Mission im Senegal, die bis zum 4. Dezember gedauert hatte, etwas gekürzt. Mit zwei so nah beieinander liegenden Engagements, war es für das Spital nicht möglich, noch länger Personal bereitzustellen. Dabei handelt es sich nicht um eine schlechte Planung unsererseits, vielmehr sind es die beruflichen Einschränkungen, die uns nicht mehr Freiheit gewähren. Hinzu kommt, dass unsere Programme kurz vor den Festtagen immer stark ausgelastet sind, was uns nicht erlaubt, noch mehr Operationstage vom Dezember herzugeben.

Als ich heute früh erwachte, war meine Nackenmuskulatur erneut verspannt. Auch ein Voltaren half nichts, obwohl es vorgestern Wunder gewirkt hatte. Daher habe ich endgültig darauf verzichtet, die ursprünglich vorgesehene Ross-Operation vorzunehmen. Es ist eine unserer schwierigsten Operationen. Sie dauert lange und und die Kontrolle der Blutung (aufgrund der kilometerlangen Nähte) ist eine ihrer grössten Herausforderungen. Aufgrund der uns zur Verfügung stehenden, spärlichen Mittel zur Unterstützung der Blutgerinnung, wo schliesslich allein die Geduld zum Ziel führt, hatte ich das Gefühl, dass es eine nicht endende Operation werden würde, wozu ich heute nicht in der Lage gewesen wäre. Morgen früh fliege ich zurück und es erwartet mich eine Woche in der Schweiz, die gleich «mit Vollgas» beginnt. Am Montagmorgen ist ein Kaiserschnitt für ein Kind geplant, das eventuell in den ersten Stunden einen kardialen Eingriff benötigt, und am Dienstag operiere ich ein anderes Neugeborenes, das letzten Donnerstag zur Welt gekommen ist. Beide Operationen werden schwierig.

Heute früh holten wir unseren Krieger, der gestern den ganzen Tag brav wie ein Engel gewesen war, noch einmal in den Operationssaal. Wie immer geschieht die Operation in drei Schritten: Spülung des Herzes und der grossen Blutgefässe, Débridement des Fibrinbelags sowie Rekonstruktion des Herzbeutels und Schliessen des Sternums. Dies alles vertrug er gut, sein Blutdruck veränderte sich während der ganzen Operation kein bisschen. Wir konnten ihn nun dem lokalen Team anvertrauen, die ihn nun langsam aus der Narkose aufwachen lassen. Dies kann zwei bis drei Tage dauern; diese Zeit brauchen Leber und Niere um die Narkosemittel, die sich seit dem Einschlafen im Organismus gesammelt haben, zu verstoffwechseln und auszuscheiden. Die Prognosen für seine Zukunft stehen gut.

Auf dem Weg zum Kardiologie-Flügel des Spitals traf ich auf den Jungen, der an seiner Aortaklappe hätte operiert werden müssen. Er ist zwölf Jahre alt. Er trug dasselbe abgewetzte Barça-T-Shirt, das er schon bei der präoperativen Untersuchung vor einer Woche getragen hatte. Er war in Begleitung seiner Mutter. Sie begrüssten mich sehr respektvoll, mit gefalteten Händen. Der Junge lächelte bedrückt. In diesem Moment fühlte ich mich etwas feige. Sein Lächeln verriet, dass er sich von mir im Stich gelassen fühlte. Er hatte erwartet, dass ich es sein würde, der ihn während dieser Mission operierte. Ich bin mir auch sicher, dass er sich darauf gefreut hatte. Hier in Kambodscha werde ich immer als «bester Chirurg der Welt» vorgestellt, nicht weniger als das! (Im Umgang mit Übertreibungen sind sie gar nicht geizig.) Plötzlich fühlte ich das ganze Gewicht, das dieser Spruch mit sich bringt, auf meinen Schultern lasten.

Beat [1] wartete vor der Tür der Intensivstation auf mich. Wie jeden Morgen hatten wir ein kurzes Gespräch von ein paar Minuten. Aus dem Augenwinkel konnte ich sehen, wie sich der Junge umdrehte, zurücklief und sich an die Wand lehnte, gespannt, was das Ergebnis unserer Diskussion sein würde – und sicherlich in der Hoffnung, wir könnten unsere Meinung doch noch ändern. Ich wagte es, meinen Blick kurz auf ihn zu richten. Immer noch hatte er dieses traurige Lächeln auf den Lippen – und auf jeder Wange einen Tränenstreifen. Mich überkam eine grosse Traurigkeit, aber ich konnte nicht mehr zurück. Meine Mitstreiter Yann, der Anästhesist, und David, Spezialist für Intensivpflege und zuständig für die Wiederbelebung, die für eine derart grosse Operation anwesend sein müssen, waren gar nicht da.

Indirekt hat unser kleiner Krieger, der zwei Operationsbereiche besetzte, uns dazu gezwungen, eine Operation aufzuschieben, die wir später nicht mehr einschieben konnten. Am Nachmittag vor meiner Abreise, mit so wenigen Hilfsmitteln und ohne mein Team konnte ich eine solche Operation nicht mehr angemessen durchführen.

Ich startete einen vagen Versuch, mich damit zu trösten, dass er nicht vergessen gehen wird. Pro Jahr gibt es vier «westliche» Missionen in Siem Reap und sein Zustand erlaubt es, bis zur nächsten zuzuwarten. Ein anderes Team wird ihn sicherlich operieren – vermutlich mit einer einfacheren und schnelleren, aber auch weniger guten Operation. Und für ihn wird es auch nicht mehr «der Beste der Welt» sein, der ihn operiert hat.

Nun belastet mich dieser flotte Titel für einmal aber ganz schön.

 

Schlussbilanz der «Mission Kambodscha 2016»

Herzoperationen 10
Herzkatheterisierungen 17
Total «geheilter» Kinder 24

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[1] Beat Richner, alias Beatocello. In seinem Spital operieren wir.