Blog prof. René Prêtre

Dez 13 2016

MISSION KAMBODSCHA 2016, 13. DEZEMBER

Post by René Prêtre

Dez 13 2016

Es ist 13 Uhr. Unser Kind von heute Morgen ist auf dem Weg zur Intensivstation. Ich habe noch eine Stunde frei bis zum nächsten. Dies war wieder eine schwierige Operation, da sie zu spät vorgenommen wurde. Ein langes Segment der Aorta war zu eng. Bei uns werden die Kinder in den ersten Lebenswochen operiert, noch bevor sekundäre Veränderungen auftreten. Dieses Mädchen hier ist zehn Jahre alt. Sie ist voll von Kollateralen –Nebengefässen – die einen Kurzschluss an der blockierten Stelle hervorrufen. Dies unterstützt zwar die Durchblutung nach der Blockade, aber einem Chirurgen erschweren sie die Operation und machen diese oft äusserst riskant. Tatsächlich stiessen wir auf ein dünnwandiges Netz von Gefässen, das schnell und ausgiebig blutete. Wir brauchten über zwei Stunden bis wir einen sauberen Operationsbereich hatten – es war also knapp. Danach verlief alles mehr oder weniger normal und das Endresultat war perfekt.

Und das andere Mädchen? Das kleine von gestern Abend?
Ihr geht es auch gut. Sie ist schon wach.

Aber sie hat uns den kalten Schweiss auf die Stirne getrieben. Als wir ihr Sternum geöffnet hatten, konnten wir gut sehen, dass Blut in die Perikardhöhle, also rund ums Herz, gelangt war. Es stieg langsam an, was wiederum auf eine aktive Blutung hinwies. Wir führten also mit äusserster Vorsicht Kanülen ein, um das Blut über die Maschine umzuleiten (so dass es nicht mehr über das Herz geführt wurde). Als die Maschine lief und sich der Blutkreislauf stabilisierte, konnten wir das Herz verschieben. An der Seitenwand der linken Herzkammer war eine Wunde, ähnlich der auf der Haut. Eine zerrissene Koronarvene blutete langsam vor sich hin. Wir stoppten also das Herz und öffneten die Aorta. Um das Innere der linken Herzkammer untersuchen zu können, mussten wir die Aortenklappensegel zur Seite schieben. Dies musste extrem sorgfältig geschehen, denn «fiele» ein Splitter in die Herzklappe, würde es schwierig – oder gar unmöglich –ihn wiederzufinden, so brüchig sind diese Trabekeln (Knochenbälkchen). Und so ein freischwebender Splitter … würde eine postoperative Embolie auf sicher bedeuten.

Plötzlich sah ich etwas das sich von der Farbe des Herzmuskels abhob, es war etwas blasser, bestimmt wegen der Hitze, die das Geschoss erzeugt hatte. Ich schob eine Trabekel zur Seite, die diese Zone bedeckte und fand das quasi freigelegte Schrapnell, das ich behutsam fassen und herausholen konnte. Ich hatte es mir glatt, mit abgerundeten Kanten und das Licht reflektierend vorgestellt. Aber nein, es war grau und hatte keine spezifische Form.

Das Schrapnell. Nicht mehr als 5 mm lang, aber im Stande, ein Leben auszulöschen.

Das Schrapnell. Nicht mehr als 5 mm lang, aber im Stande, ein Leben auszulöschen.

 

Nachdem die Gefahr abgewendet war, konnten wir die Aorta schliessen und das Loch an der Herzoberfläche zunähen. Wir saugten die Luft aus der Herzkammer ab, um es wieder selber schlagen zu lassen. Eine Stunde später war das Sternum geschlossen, das Kind war in Sicherheit und konnte auf die Intensivstation gebracht werden.

Hungrig verliessen wir das Spital gegen 21:45 Uhr (hatten wir am Mittag doch nur ein Sandwich gegessen). Glücklicherweise zeigte sich der Spitalkoch einverstanden, noch etwas für uns zuzubereiten, obwohl er bereits dabei war, seine Öfen auszuschalten. Acht Gerichte waren auf der ersten Seite der Menukarte. Da wir zu acht waren, bestellten wir gleich die «erste Seite». Auf einem grossen Tisch wurde für jeden ein Gericht aufgetragen. Dazu tranken wir eine Flasche chilenischen Cabernet-Sauvignon, der gut zum Abendessen und zur nun entspannten Stimmung passte. Danach erfuhr ich noch, dass mein Büro in Lausanne überflutet war — ein Problem mit der Wasserleitung.
Nirgendwo wollte ich lieber sein als hier in Siem Reap.

Beginn der Mission.

Beginn der Mission.