Blog prof. René Prêtre

Dez 16 2016

MISSION KAMBODSCHA 2016, 16. DEZEMBER

Post by René Prêtre

Dez 16 2016

Seit gestern geht unsere Mission wieder ihren gewohnten Gang. Heute hatten wir eine ziemlich schwierige Operation am Morgen und eine etwas einfachere am Nachmittag. Bei der ersten handelte es sich um eine Operation, der Ladin und seine Kollegen noch nie beigewohnt hatten. Es ging darum, eine der beiden Koronararterien wieder mit der Aorta zu verbinden (wo auch ihr eigentlicher Platz wäre). Die linke und zugleich wichtigere der beiden Koronararterien unseres acht Monate alten Kindes entsprang jedoch der Lungenarterie. Eine solche Reimplantation vorzunehmen, ist nicht einfach, da diese Arterie oft zu kurz ist und nicht bis an die eigentliche Position reicht. Sie muss auf einem guten Stück auseinandergenommen werden, worauf sie etwas an Länge gewinnt, und dann mit einem technischen Kunstgriff noch etwas gestreckt werden, damit ohne Spannung genäht werden kann. Einen Grossteil der Operation führte Ladin durch (er schuldet uns übrigens einige Flaschen Champagner, wenn wir die goldene Regel der Herzchirurgie beachten, die besagt, dass jede erste Operation gebührend gefeiert werden muss!). Technisch gesehen verlief alles gut. Wir hatten dennoch einige Schwierigkeiten, den Operationsbereich trocken zu halten. Wieder gab es Probleme mit der Blutgerinnung, jedoch nicht so schlimme wie vorgestern.

Mit viel Geduld und Tamponade konnten wir den Schnitt wieder schliessen – das Kind ist stabil und sein Herz wiederhergestellt. Die zweite Operation war etwas einfacher und verlief ohne Probleme oder Zwischenfälle.

Die Intensivstation meldet Folgendes: Unser Kämpfer machte in den letzten zwölf Stunden grosse Fortschritte, seine Herzfrequenz hat sich erheblich verlangsamt. Sie schwankt nun zwischen 130 und 135 Schlägen pro Minute. Auch die Blutungen haben aufgehört. Das macht alles viel einfacher. Wir können nun die pharmakologische Unterstützung sowie unsere ärztliche Überwachung reduzieren. Der Verband ist trocken. Wir warten nun bis morgen, und wenn die Situation während 24 Stunden stabil geblieben ist, dann nehmen wir den Jungen noch einmal in den Operationssaal und schliessen sein Sternum. Danach können wir ihn aus der Narkose aufwachen lassen. Es ist schwer vorstellbar, dass die Kinder in solchen Situationen der Wiederbelebung mehrmals mit dem Tod in Berührung kommen – unser kleiner Krieger hat wohl den Sensenmann einige Male seine Klinge schwingen gehört.

Oliver und Dominik, die zwei Kardiologen aus Zürich, haben sich heute verabschiedet. Nach einer arbeitsreichen Woche fahren sie nun wieder nach Hause. Sie haben insgesamt 17 Katheter gelegt, zwei zu Diagnose- und 15 zu Behandlungszwecken. Ohne die beiden hätten wir diese Kinder, die zwar an einfachen, aber aufgrund der vielen grassierenden Infektionen oft auch tödlichen Erkrankungen litten, ebenfalls operieren müssen. Ob nun ein Kind mittels Katheter ein Schirmchen eingeführt bekommt, um das Loch zwischen zwei Herzhälften zu schliessen, oder mittels Operation am offenen Herzen einen Patch, das Endresultat ist für mich das Gleiche: In beiden Fällen geht es um ein Kind, das, mit der geeigneten Behandlung, geheilt werden kann. Deswegen stimmen wir unsere Besuche in Kambodscha schon seit vielen Jahren aufeinander ab. So können sie hier von unseren Ressourcen (für die Überwachung auf der Intensivstation) und bei Komplikationen sogar von unserer chirurgischen Unterstützung profitieren.

Meiner Schulter geht es besser. Gestern war mein Trapezmuskelrand so angespannt wie eine Gitarrenseite. Ich konnte meinen Kopf und meinen linken Arm nicht mehr ungehindert bewegen. Ein entzündungshemmendes Medikament und eine gute Nacht haben aber beinahe Wunder gewirkt: Heute Morgen waren die Schmerzen fast verschwunden.

Die Mission wird einfacher, denn langsam kommen wir zu den leichteren Fällen. Die Zeit vergeht wie im Fluge – erst gerade angekommen, reden wir schon wieder von der Abreise.

Heute Abend und heute Nacht sollte es eigentlich ruhig bleiben.

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1 Für diejenigen, die mein Buch kennen, es handelt sich hier um die gleiche Erkrankung, wie sie im Kapitel «Le sang d’encre» beschrieben wird (das Buch erscheint auf Deutsch im April 2017 mit dem Titel «In der Mitte schlägt das Herz»; Anm. der Übers.).