Blog prof. René Prêtre

Nov 02 2018

MISSION KAMBODSCHA 2018, 2. NOVEMBER

Post by René Prêtre

Nov 02 2018

Um 3.40 Uhr erwache ich.
Ich versetze mich noch einmal in die Operation, gehe sie noch einmal durch – insbesondere den verhängnisvollen Moment.

Abgesehen vom Pech, das wir hatten, kann ich es nicht verhindern, dass sich gewisse Vorwürfe in meinen Gedanken breitmachen. Einer davon hält sich besonders hartnäckig: Ich hatte zu wenig Geduld – ich habe der Natur nicht die Chance gegeben, das Blut selber zum Versiegen zu bringen, ich wollte das Ganze zu sehr beschleunigen. Der tödliche Verlauf dieser Operation hat mit dem einen Stich begonnen, für den zwar ein mikroskopisch feiner Faden gewählt wurde … aber ein Faden mit einem Knopf in der Mitte. Wie eine Lawine, die als Schneeball beginnt und wächst, indem sie alles um sich herum mitreisst, begann auch hier alles mit einem winzigen Hervorquellen von Blut, das immer weiter quoll und schliesslich das Herz und mit ihm all seine Funktionen verschlang. Dies erinnert etwas an den Schmetterlingseffekt – an einen Flügelschlag, der ein klein wenig später, ein klein wenig weiter weg einen verheerenden Sturm auszulösen vermag. Ich brauchte eine gute Stunde, bis ich wieder einschlafen konnte.

Beim Frühstück sitzen alle ziemlich ratlos dem Schicksal gegenüber, es war ein unglücklicher Fall … niemand stellt jedoch die Richtigkeit unserer Handlung in Frage. Die Prognose für dieses Kind wäre ohne unsere Rettungsversuche düster, ja ausweglos gewesen.

Wer kennt das Sprichwort nicht: «Gebranntes Kind scheut das Feuer». Ich selbst habe mich an dieser Operation verbrannt … Ich fühle mich, wie ein Turmspringer, der vom Zehnmeter im falschen Winkel aufs flache Wasser aufgeschlagen ist. Vermutlich ist es, weil wir uns nicht allzu sehr um die möglichen Konsequenzen – um die schwindelerregende Höhe – unserer Handlungen kümmern, uns nicht zu viele existentielle Fragen stellen, dass wir es schaffen, diese riskanten Operationen reihenweise ohne zu kneifen auszuführen, dass wir ohne Furcht eine Figur nach der anderen aus dieser Höhe springen. Vielleicht ist es eine gewisse Unschuld, eine gewisse Ignoranz, die uns davor bewahrt, dass uns schwindelig wird. Das Scheitern von gestern hat ein Loch geschlagen – einen Zweifel geweckt, mein Vertrauen erschüttert –, und plötzlich macht mir die ebenfalls sehr riskante bevorstehende Operation von heute Angst. Ich scheue mich vor dem Feuer, und anstatt wieder auf den Zehnmeterturm zu klettern, frage ich Yann, ob wir den Tag mit dem zweiten Fall beginnen können – der zweite ist immer der leichtere Fall –, um sicherzugehen, dass ich meine Spur und meine Orientierung wiederfinde.

Revue du dossier du dernier enfant avec . En arrière plan, Stéphanie et Jacques.

Durchsicht des Dossiers eines äusserst schwierigen Falls. Hinten: Stéphanie und Jacques

12 Uhr
Die Operation – das Verschliessen eines Ventrikelseptumdefekts – verlief problemlos. Ladin hat sie mit Meisterhand ausgeführt. Das Herz hat schnell wieder selber gearbeitet, die Nähte sind gut getrocknet und so konnten wir das Sternum rasch wieder schliessen. Die Operation war die einfachste dieser Mission (deswegen wurde sie auch als letzte eingeplant), aber sie hat es mir ermöglicht, wieder in die Gänge zu kommen. Die nächste Operation wird dafür schwieriger – wieder handelt es sich um eine eigentliche Première in Kambodscha. Meine grösste Sorge gilt hier nicht der Kombination der zwei schweren Erkrankungen, sondern den während zu langer Zeit hohem Druck ausgesetzten Lungen. Das Kind ist zehn Monate alt und hat sich bis heute nur mühsam über Wasser gehalten, ohne gross an Gewicht zuzunehmen. Bei uns hätte so eine Korrektur in den ersten Tagen nach der Geburt stattgefunden, so hätten die Lungen nicht so lange unter dem hohen Druck leiden müssen.

Als es darum geht, das Kind zu holen, sind wir alle ziemlich angespannt. Noch einmal unterhalten wir uns über seine Prognose. Wenn wir die Korrektur heute nicht vornehmen, wird bis zu unserer nächsten Mission niemand imstande sein, dies zu übernehmen, und das Kind würde bis dahin unsere Welt verlassen haben. Paradoxerweise ist es diese düstere Prognose, die es uns heute ermöglicht, das Dilemma ohne allzu grosse Widerstände anzugehen, obwohl die Risiken sehr hoch sind.

Deux générations d'intensivistes ... mais la même passion.

Zwei Generationen Intensivmedizin – ein und dieselbe Leidenschaft.

19 Uhr
Die Operation verlief sehr gut. Technisch gesehen war unser Vorgehen meisterhaft, vor allem aber hatte das Herz genügend Reserve um den zum Teil sehr starken, aber verhältnismässig doch akzeptablen Lungenwiderstand zu überwinden. Jetzt fühlen wir alle, wie die Hoffnung in unsere Reihen zurückgekehrt ist, dass dieses Kind aufgrund dieser Operation überleben und endlich ein normales Leben führen wird.

Photo de famille, autour de Manuel, des perfusionistes avec Phearom, Boren, Sovanna et Sokmao

Familienfoto: Manuel umgeben von den Kardiotechnikern Phearom, Boren, Sovanna und Sokmao

20 Uhr
Die Pflegevisite ist abgeschlossen. Die ersten Abschiede haben begonnen. Die Fotos mit jeder und jedem Mitarbeitenden aus allen Teams sind gemacht – im Überfluss. Umarmen, bedanken, Glückwünsche aussprechen … alles findet hier und jetzt statt, auch wenn wir uns morgen früh vor unserer Abreise noch einmal sehen.

Heute Abend werden wir in der Stadt essen gehen und dazu einen guten Wein geniessen.

Souper dehors, retour de la bonne humeur (Sibylle, au milieu, exubérante). On a même apprécié un plat à base de fourmis.

Abendessen unter freiem Himmel und wieder gutgelaunt (Sibylle, in der Mitte, ganz übermütig). Sogar ein Gericht auf Ameisenbasis haben wir gekostet.