Blog prof. René Prêtre

Okt 28 2019

Mission Kambodscha 2019, 28. Oktober

Post by René Prêtre

Okt 28 2019

Montag, 28. Oktober

8 Uhr
Zurück vom Morgenrapport. Das Auditorium war wie immer zum Bersten voll. Die wichtigsten Fälle wurden vorgestellt – die hohe Anzahl Schädeltraumata an diesem Wochenende erstaunt mich sehr. Die Ursachen (Mofa-Unfälle – es gibt unendlich viele Mofas hier und meistens mit drei oder vier Personen drauf – und andere Unfälle) werden nicht aufgeführt. Auf dem 3D-Scan eines Kindes ist deutlich eine Einsenkung des Schädelgewölbes sichtbar, wie wenn jemand seinen Zeigefingen in einen Pingpong-Ball gedrückt hätte. Diese Bilder schmerzen schon beim Anschauen, hinterlassen danach aber ein noch unangenehmeres Gefühl, sind doch die neurologischen Folgen ungeachtet der Ursache meist schwer und können zu Behinderungen führen.

Die Umgebung des Spitals

Die Umgebung des Spitals

Feuertaufe dieser Mission ist ein Kind mit einer unterentwickelten Pulmonalarterie. Die Lungen werden über mehrere Aortenäste mit Blut versorgt. Unser Vorgehen wird sein, die ursprünglichen, filiformen Arterien wiederherzustellen und zu vergrössern versuchen, um danach eine zweite Korrektur vornehmen zu können.

Im Operationssaal

Im Operationssaal

12 Uhr
Die erste Operation ist gut verlaufen. Ich habe Ladin dabei geholfen, diesen ersten Schritt durchzuführen. Wenn die unterentwickelten Lungenarterien gut wachsen, können wir in einem zweiten Schritt die definitive Korrektur vornehmen. In der Zwischenzeit wird sich das Kind viel wohler fühlen, denn das Blut ist bereits viel besser mit Sauerstoff versorgt. Dies dürfte während dieser Periode ausreichen.

Der Operationssaal in Aktion (Bild unten: die Kardiotechniker, welche die Herz-Lungen-Maschine während des Herzstillstandes bedienen)

Der Operationssaal in Aktion (Bild unten: die Kardiotechniker, welche die Herz-Lungen-Maschine während des Herzstillstandes bedienen)

Schon beginnt die zweite Operation. Eigentlich wollte ich mich dazu gar nicht äussern, aber ich will ja diesen Blog schreiben, also werde ich es versuchen. Zuvor möchte ich Ihnen aber beinahe empfehlen, möglichen Kopfschmerzen vorzubeugen und ein Aspirin zu nehmen. Also, so sieht die Fehlbildung aus: Normalerweise – bitte entschuldigen Sie, wenn ich Sie mit Grundkenntnissen der Anatomie zudröhne – leitet der rechte Vorhof das Blut in die rechte Herzkammer (Ventrikel), von wo es durch die Lungenarterie zur Lunge gepumpt wird. Das nun sauerstoffreiche und darum knallrote Blut kommt auf die andere Seite des Herzens (die linke Seite), passiert zuerst den linken Vorhof, der es in die linke Herzkammer leitet, und wird von hier in die Aorta gepumpt. Bei unserem Patient hier leitet der rechte Vorhof das Blut jedoch in die linke Herzkammer, die es weiter in die Lungenarterie pumpt, dann gelangt es durch den linken Vorhof in die rechte Herzkammer und wird von da in die Aorta gepumpt. Diese Fehlbildung nennt sich doppelte Diskordanz. Und als ob dieser Rubik’s Cube (dieser Zauberwürfel, bei dem die farbigen Steine zu einer einheitlichen Fläche auf jeder Seite gedreht werden müssen) nicht schon Herausforderung genug wäre, ist das Herz auch noch auf der falschen Seite! Das Herz liegt also gespiegelt in der rechten Hälfte des Thorax, anstatt in der linken. Können Sie mir noch folgen? Auch wenn wir wissen, dass minus mal minus plus ergibt, ist es trotzdem besser, die Herzkammern (die wichtigste anatomische Struktur) in den richtigen Kreislauf zu bringen und zusätzlich das, was normalerweise links und hier rechts ist, nun, also, da fragt man sich dann … «auf einem Schiff sind 26 Schafe und 10 Ziegen. Wie alt ist der Kapitän?»

Diese Korrektur vorzunehmen ist etwa wie Autofahren im Rückwärtsgang … durch den Rückspiegel schauend … im Linksverkehr. Da gestaltet es sich schwierig, die Bordsteinkante nicht zu berühren (insbesondere, wenn es sich beim Auto noch um einen Fiat Topolino handelt). Ebenfalls schwierig für uns, den OP nach all diesen Verrenkungen nicht seekrank und mit schiefem Gang zu verlassen.

Erholung auf der Intensivstation

Erholung auf der Intensivstation

18 Uhr
Hier kommt Ladin mit seinem Topolino, ohne die Bordsteinkante erwischt zu haben – dem Kind geht es gut. Mir ist, als schiele er auf einem Auge (wie der Scharfschütze in Luis de Funès’ Drei Bruchpiloten in Paris … ja, ungefähr so). Meistens ist es jedoch hilfreich, bei solchen «Rubik’s Herzen» die Farbe des aus den Perikardhöhlen und Gefässsegmenten tretenden Blutes zu kontrollieren: Dunkelrot für das venöse und Hellrot für das arterielle Blut. Das geht auch viel schneller als die geistige Vergegenwärtigung dieses Verwirrspiels.

Ein vollgepackter erster Tag. Bald werden wir uns in der Hotellobby einfinden, um nach einer kurzen Fahrt mit dem Tuk-Tuk ein anständiges Abendessen zu geniessen, denn das Mittagessen ist heute ziemlich bescheiden ausgefallen.