Blog prof. René Prêtre

Mai 27 2017

Mission Mosambik 2017, 27. Mai

Post by René Prêtre

Mai 27 2017

14:30 Uhr

Ja: 14:30 Uhr!

Unsere Operation hat länger gedauert als vorgesehen. Fast sechs Stunden. Wir hatten den Eingriff auf das Ende unserer Mission geplant, weil wir ihn auf mittelschwer einschätzten. Die Operation stellte sich aber als besonders schwierig heraus.

Das Kind war bereits wegen Blausucht von Sozinho operiert worden. Gleich darauf entwickelte es eine Endokarditis[1] auf beiden Klappen der rechten Herzhälfte. Schliessen diese Klappen nicht mehr richtig, ist ein beträchtlicher Rückfluss des Blutes in den Vorhof und damit ein Kreislaufversagen die Folge. Damit einerseits die Infektion beseitigt und andererseits auch die Klappenfunktion wiederhergestellt werden kann, muss schnellstmöglich operiert werden. Bei der Echokardiographie konnten wir gut sehen, dass beide Klappen so sehr zerstört waren, dass sie nicht mehr repariert werden konnten und wir sie mit einer Prothese würden ersetzen müssen.

Le bloc comme chaque jour, weekend compris.

Der OP wie an jedem Tag – auch am Wochenende.

Eine Re-Operation des Herzens ist immer viel schwieriger (was allerdings auf Re-Operationen sämtlicher Organe zutrifft). Dies ist eine unumstössliche Regel. Zwischen dem Herz und den es umgebenden Organen bilden sich Adhäsionen, die nicht selten auch bluten. Hinzu kommt, dass die Herzoberfläche mit einer filmartigen, vernarbten Schicht überzogen ist und nicht mehr die gleiche Klarheit aufweist. Im vorliegenden Fall hatte Sozinho die Fehlbildung mit Hilfe des Herzbeutels korrigiert, wodurch das Herz, nun ganz ohne diese Schutzhülle, mit dem Sternum verklebte. Beim Wiederöffnen des Sternums mit einer oszillierenden Säge wird oft auch das Herz selber verletzt, was verheerende Blutungen zur Folge hat. Um eine solche Tragödie zu vermeiden, müssen wir zuerst das Herz vom Sternum befreien. Wir öffnen den Oberbauch und heben das Sternum leicht an, so können wir, durch eine Öffnung, gleich einem Schlüsselloch, erkennen, dass das Herz mit dem Sternum verwachsen ist. Die Ablösung muss mit äusserster Sorgfalt und viel Fingerspitzengefühl angegangen werden. Diese Art von Akrobatik macht uns, die wir mit Stirnlampen ausgerüstet sind, regelrecht zu Höhlenforschern.

Schritt für Schritt kommen wir mit der Dissektion voran, das freigelegte Sternum weist bereits einen Schnitt von der Säge auf, für einige Zentimeter mehr nehmen wir die Höhlenforschungsübung erneut auf, bis der Einschnitt sich komplett öffnen lässt. Diese Arbeit muss mit Pinzette und Schere aus einer unmöglichen, «überhängenden» Position heraus ausgeführt werden, die eine enorme Spannung auf unsere Muskulatur und die Halswirbel ausübt. Immer wieder muss der Kampf unterbrochen werden, damit wir unsere verkrampften Muskeln entspannen können.

Als die gewünschte Öffnung endlich erreicht ist, muss auch für das stark dilatierte Herz eine ziemlich «zeitraubende» Dissektion des Gewebes vorgenommen werden. Die schlussendliche Prothesenwahl für diesen Patienten war sehr heikel: Für eine der Herzklappen hatten wir keine Prothese in der passenden Grösse. Wir machten uns also auf, in einem langwierigen Prozess die ursprüngliche Öffnung für die Anpassung der einzigen zur Verfügung stehenden Prothese zu vergrössern.

Auch hinsichtlich der anderen Klappe sollte uns der Stress nicht erspart bleiben. Carole war nun ebenfalls «aufgetaut» und bereitete einen in der Grösse angepassten Herzklappen-Gefässstutzen vor. Diese Gefässstutzen werden aus bovinen Jugularvenen hergestellt, da diese über ähnliche Klappensegel verfügen wie unsere Pulmonalvenen. Die Klappe findet sich in der Mitte der Vene, die jeweils in grosser Länge geliefert wird. Überschüssiges Gewebe wird bei uns entfernt und entsorgt. Aber nicht hier! Die Venenwand kann nämlich als preiswertes Ersatzgewebe eingesetzt werden (zumal die Venen mehreren Kindern dienen werden).

Ich schaue mir den vorbereiteten Gefässstutzen an und stelle mit Entsetzen fest, dass er über keine Klappe verfügt. Dieser hier wurde vorher schon benutzt und besteht nur noch aus überschüssiger Vene. Natürlich hatte ich die kranke native Klappe bereits entfernt. Die lange und gefährliche Übung der Klappenringerweiterung konnte erst wiederaufgenommen und eine andere Prothese angepasst werden, als jemand im Saal doch noch eine ähnliche Klappe in der richtigen Grösse gefunden hatte.

Die ganze Vorbereitung, die mühsame Dissektion, die widrigen Umstände der Operation – dies alles führte dazu, dass der Eingriff bis in den Nachmittag hinein dauerte. Der Nachmittag unseres letzten Tages. Und noch eine Operation in Aussicht.

Beim Verschliessen der Haut schaue ich Yann und Evelyne, die beiden Verantwortlichen für die Anästhesie, prüfend an und zeige gleichzeitig auf die Uhr. Waren sie bereit, die letzte Operation, die wohl ungefähr genauso lange dauern würde, in Angriff zu nehmen?

Un travail fastidieux, parfois dans des positions contraignantes.

Eine mühsame Arbeit, bei der zuweilen in sehr unangenehmen Positionen verharrt werden muss.

«Wie lange braucht ihr, um dieses Kind auf die Station zu bringen und das andere in Schlaf zu versetzen?»
«Ungefähr eine dreiviertel bis eine Stunde. Und du?»
«Ich kann es in zweieinhalb bis zweidreiviertel Stunden operieren.»
«Okay, dann also los!»

Dieses Team, das mich begleitet, ist einfach fantastisch! Sowohl im Operationssaal als auch auf der Intensivstation. Noch nie haben die Teammitglieder angesichts der Berge, die wir ihnen vorlegten, das Handtuch geworfen, niemals Erschöpfung gezeigt, im Hinblick auf die Arbeitslast, die manchmal so hoch ist, dass gewisse Nächte eher vom Wachsein bestimmt sind als vom Schlaf. Niemals haben sie sich gegen eine Aufgabe gesträubt, auch nicht, wenn die Beine zu später Stunde schon fast unerträglich schwer waren. Stets haben sie sogar trotz allem einen Weg gefunden, mittels einer Bemerkung oder einer lustigen Anspielung die Stimmung aufrechtzuerhalten.[2]

18 Uhr

Glücklicherweise geht hier der Patientenwechsel deutlich schneller als bei uns. Die Spitalhygiene ist weniger pedantisch (sollte es da nicht mehrere geben?): Einmal gründlich putzen, alles zusammen desinfizieren und schon liegt das nächste Kind auf dem Operationstisch. Eine dreiviertel Stunde später pinselte Sozinho bereits den Thorax des Kleinen mit Betadine ein.

«Wir sind in der Zeit. Jetzt bist du dran!», meinte Yann zu mir und mir schien, als lache er verstohlen hinter seiner Maske.
«Ich werde auf Turbo schalten, aber nicht forcieren.»

Deuxième jour post-opératoire. Les enfants sont bien réveillés, sans grandes douleurs.

Der zweite Tag nach der Operation.
Die Kinder sind wach und haben kaum noch Schmerzen.

Tatsächlich verlief die Operation zügig und ohne Probleme. Monique, die Kardiotechnikerin, hatte ihre Maschine zum Schnurren gebracht. Attilio, unterstützt von Carole – mit Nebenrolle Übersetzerin –, überreichte mir jedes Instrument, jeden Faden, um den ich bat, noch bevor ich meine laufende Geste beendet hatte. Sozinho nahm rythmisch jeden Faden auf, den ich spannte. Jeder war voll konzentriert, so dass die operative Choreographie wie ein kleines Wunder und völlig reibungslos ablief. Meine Nähte verliefen regelmässig und fliessend. Zwischen zwei Knöpfen hörte ich plötzlich ein Glucksen seitens der Anästhesie. Ich warf einen Blick in ihre Richtung. Evelyne gestand mir:
«Wir haben einen neuen Spitznamen für Sie gefunden, Yann und ich.»
«Wirklich?»
«Wir nennen Sie jetzt «die neue Singer[3]
Ich blickte sie neugierig an und sie fuhr fort:
«Wie die Nähmaschinen. Die unserer Grossmütter. Weil Sie doch so schnell nähen!»

Jetzt fingen beide an, herzlich zu lachen. Und wir alle mit ihnen. Stolz auf Ihren Einfall schaute Evelyne mich an. Ich fand ja schon immer, dass die chirurgische Kleidung, mit Maske und Haube, die Augen und den Blick – und nicht selten auch die Persönlichkeit – auf unglaubliche Weise zum Vorschein bringt. Und mit diesem speziellen Licht des Operationssaals schaffen es Evelynes grosse, blaue und so bereitwillig lachenden Augen, die Stimmung in Schwung zu bringen, auch wenn diese noch so am Boden ist.

Wir konnten die Operation sogar ein paar Minuten vor der geplanten Zeit erfolgreich beenden (tatsächlich, ein kleiner Vorsprung!). Mit Beendigung dieser Operation näherte sich die Mission ihrem Ende. Wir mussten nur noch die Verlegung und das Aufwachen des Kindes sicherstellen, dann würden wir unsere Patientinnen und Patienten für die weitere Versorgung und Rehabilitierung dem lokalen Team übergeben können.

Um die Organisation des Abends hat sich Sibylle, unsere Organisatorin vom Dienst, gekümmert (sie hat bereits seit Februar die ganze Mission organisiert): Wir essen in der Stadt, sind gegen 22 Uhr zurück im Spital, um noch einmal unsere Schützlinge zu kontrollieren, sowie, wenn alles gut geht, das lokale Team abzuholen, das uns unbedingt in das Nachtleben von Maputo einführen möchte.

Noch eine Nacht voller Gefahren.
Für mich!

[1]Eine Endokarditis ist eine Herzklappenentzündung, die normalerweise durch Bakterien verursacht wird. Solche Infektionen können die Herzklappe innert weniger Tage zerstören und enden unbehandelt meist tödlich.

[2]Dieses Jahr war es besonders hart, stand aber trotzdem nicht im Gegensatz zu den anderen Missionen. Ich habe immer das Glück gehabt, ausnahmslos auf engagierte Personen zählen zu können, die sich nach Bedarf «aufopferten».

[3]Sie spricht es aus, wie «Singère» [sɛ͂ʒɛʀ]

Maxime, Amanda et le Prof. Prêtre

Maxime, Amanda und René Prêtre

 

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