Blog prof. René Prêtre

Okt 31 2019

Mission Kambodscha 2019, 31. Oktober

Post by René Prêtre

Okt 31 2019

8 Uhr
Heute haben wir einen besonderen Fall. Es handelt sich um ein 14-jähriges Mädchen, das vor neun Jahren in einem anderen Spital – in Hongkong, wird vermutet – operiert wurde. Obwohl es eine klassische Blausucht aufwies, bestand die Operation damals anscheinend nicht aus einer Korrektur, sondern aus einer sehr speziellen Methode, die bei univentrikulären Herzen angewendet wird. Der Grund für diese rein palliative Operation entgeht unserer Logik und so haben sich die zuständigen Kardiologen des Spitals angesichts der eingeschränkten Lebensqualität des Kindes mit der Frage an uns gewandt, ob eine definitive Korrektur nicht möglich sei. Auf den ersten Blick schien es mir realisierbar. Aber es bestand die Gefahr, dass wir irgendeine anatomische Auffälligkeit oder Anomalie übersehen könnten, welche die damals vorgenommene Kursänderung tatsächlich gerechtfertigt hätte. Bevor ich mich also zur Operation entschloss, ordnete ich eine Koronarangiographie (eine Röntgenuntersuchung der Herzkranzgefässe) an, um sicherzugehen, dass keine Verengungen in den Herzkranzgefässen vorhanden waren und wir beim Eingriff keine der Äste verletzen würden. Eine solche Situation, die jede Korrektur noch komplizierter und riskanter gestaltet, hätte den damaligen Chirurgen nämlich entmutigt haben können.

Das Intensivpflege-Team mit Laurence, Cynthia, den beiden Yanns und David.

Das Intensivpflege-Team mit Laurence, Cynthia, den beiden Yanns und David.

17 Uhr
Mit dem Tuk-tuk durch den Regen. Das bringt etwas Abwechslung zum OP. Sicherlich empfinden Sie diesen Blog heute als ziemlich chaotisch und turbulent, insbesondere wenn sich herausstellt, dass er zeitgetreu den Geschehnissen entspricht … bei diesen Spurrinnen, die unseren Weg zieren … und vor allem den Wasserlachen … oooooooh, pflatsch, eine hat mich schon vollgespritzt!

Wir gönnen uns gerade eine kleine Entspannungspause nach einem besonders anstrengenden Tag, nachdem die besagte Operation erst gegen 17 Uhr, nach fast sieben Stunden, zu Ende war und wir den zweiten Fall auf morgen früh verschieben mussten. Nun hat das «OP-Team» also eine unvorhergesehene Pause, was für ein Vergnügen: Wir haben ein paar Stunden frei und werden die Stadt besuchen – bei Tageslicht.

Entlassung aus der Intensivpflege, noch ziemlich müde, umgeben von Yann und Laurence

Entlassung aus der Intensivpflege, noch ziemlich müde, umgeben von Yann und Laurence

Wie gestern bereits erwähnt, sind zwei Journalisten der Schweizer Illustrierten für einen Bericht über die Stiftung Kantha Bopha zu Besuch. Dies ist eine gute Gelegenheit, jedem wieder in Erinnerung zu rufen, dass das riesige Werk, das Beat Richner hier geschaffen hat, weiterlebt und auch nach Richners Tod weiter funktioniert. Die kardiologische Abteilung ist sicherlich eine der interessantesten und hat unsere Journalisten buchstäblich eingesaugt: Sie verbringen viel Zeit mit uns, wollen alles über unsere Operationen, unsere Art zu arbeiten und über die Zusammenarbeit mit den Chirurgen und dem lokalen Personal in Erfahrung bringen. Himmel! Das gibt es nicht, das andere Tuk-tuk überholt uns gerade – und dies trotz des stattlichen Extra-Dollars, den ich unserem Chauffeur bezahlt habe … aber um ehrlich zu sein, denke ich, hat dies weniger mit bösen Absichten zu tun, als mit der Tatsache, dass sein «Pferdchen» nicht so stark ist, wie das unserer Mitstreiter. Schon wieder eine Pfütze. Platsch! … Mein rechter Fuss ist so richtig durchtränkt. Die totale Niederlage für mein Team.

Unser Kardiotechniker Manuel zeigt sich von seiner zärtlichen Seite.

Unser Kardiotechniker Manuel zeigt sich von seiner zärtlichen Seite.

O.k., zurück zu meinen Schäfchen, denn unsere Arbeit ist schliesslich wichtiger als Shopping in Siem Reap. Am Ende hatten wir uns dann entschlossen, die Korrektur zu wagen. Dennoch hatten wir ein mulmiges Gefühl im Bauch, als wir das Kind in den Operationssaal schoben, da wir wussten, dass solche Korrekturen im Nachhinein immer viel komplizierter zu realisieren sind als bei einem ersten Eingriff. Eingeplant wurde diese Operation als Zweitoperation mit Adhäsionen, die die Umrisse des Herzens verwischen, was das Erkennen der anatomischen Strukturen erschwert – sollte also eine fiese Koronararterie unseren Weg kreuzen, würde sich bereits das Öffnen des Sternums als problematisch erweisen. Auf unseren Bildern konnten wir das infolge einer Volumenüberlastung schwer dilatierte Herz erkennen, welches auf das Sternum drückte. Um diesen Knochen mit der oszillierenden Säge zu durchtrennen, ohne die Herzkammer darunter zu verletzen, braucht es viel Fingerspitzengefühl und Präzision.

Stillen ist und bleibt das beste zur Beruhigung.

Stillen ist und bleibt das beste zur Beruhigung.

Diese Operation hat am Ende den ganzen Tag gedauert. Sie wurde als schwer eingestuft und hat sich auch als schwer erwiesen, aber unter dem Strich ist uns die Korrektur gelungen. Das Mädchen wird nach 14 Jahren zum ersten Mal normal atmen können und einen rosigen Teint haben, da ihr Blut nun endlich gut mit Sauerstoff versorgt ist. Seine Lebensqualität und seine Lebenserwartung werden sich fundamental ändern und beinahe normal sein.

Sie hat unseren Tag erhellt – diese Tatsache kann nicht einmal ein leider verlorenes Tuk-tuk-Rennen trüben.