Blog prof. René Prêtre

Mai 25 2017

Mission Mosambik 2017, 25. Mai

Post by René Prêtre

Mai 25 2017

Eine kurze Nacht. Insbesondere für Yann und Guillaume.

Unser kleiner Krieger schwankt hin und her zwischen zuversichtlichen Phasen und ganz schrecklichen, in denen wir fürchten sein Ende mitansehen zu müssen. Das Ganze hat gestern Abend gegen 21 Uhr angefangen. Yann, der seinen Posten noch immer nicht verlassen hat, ruft mich, um mich darüber zu informieren, dass der Blutdruck nicht mehr mitmacht und er immer mehr Mühe hat, das Blut mit Sauerstoff zu versorgen. Als ich im Spital eintreffe, hat er bereits das Beatmungsgerät gewechselt, aus Angst, das alte Gerät würde ihm keine zuverlässigen Daten liefern. Dies sind natürlich wesentliche Informationen. Sie sind quasi der Höhenmesser, nach dem wir die Höhe unseres Fluges richten. Tatsächlich steigt der Blutdruck nach diesem Wechsel und der Anpassung aller Parameter wie durch Zauberhand wieder auf normale Werte. Dies bringt tatsächlich eine teilweise Erleichterung, und wir verlassen das Spital eine Stunde später.

Während des – spät gewordenen – Abendessens gibt es keine spannenden Diskussionen. Keine grossen Äusserungen. Ich sehe, wie die Stimmung bei allen angeschlagen ist und wie sich bei jedem Einzelnen die Müdigkeit breitmacht. Wir waren bei Beatriz eingeladen, der leitenden Ärztin Kardiologie des Instituts. Gewiss, der Abend war sehr gemütlich, trotzdem waren wir froh, als wir um Mitternacht unsere Betten aufsuchen konnten.

Um 6 Uhr ein Anruf. Eine lange Nummer beginnend mit +258 …

Kein Zweifel: das Spital. Besorgt nehme ich den Anruf entgegen. Es ist Yann.

«Wir haben erneut Probleme. Zusammen mit Guillaume drehen wir ihn seit 3 Uhr früh wieder und wieder. Aber wir schaffen es einfach nicht, seinen Blutdruck auf zufriedenstellende Werte zu bekommen. Oder dann ist der Herzrhythmus so sehr erhöht, dass der Herzmuskel darunter leidet. Hast du eine Idee, was wir sonst noch machen könnten?»

So ist das oft, wenn das Lebensfeuer flackert. Man muss etwas Luft zuführen (mit Hilfe von Medikamenten), um die Flamme zu schüren, aber niemals zu stark, damit sie nicht erlischt.

«Nicht wirklich.»
«Er hat keine Harnausscheidung mehr[1]
«Um sein Blut zu waschen, könnten wir einen Dialyse-Katheter in sein Bauchfell legen, aber sonst weiss ich wirklich auch nicht, was wir hier noch machen können. Bei uns würden wir eine ECMO[2] anschliessen. Ich bin mir sicher, er würde sich damit wieder erholen, aber hier haben wir kein solches Gerät.»

Ich fahre ins Spital um die Dialyse einzuleiten. Unsere erste Operation verschieben wir auf 10 Uhr, auf nach dem Legen des Katheters. Mit Hilfe von Carole, der technischen Operationsassistentin, bringen wir die technischen Einrichtungen direkt auf die Intensivstation. Dies ist einfacher, als das Kind zu bewegen. Dank der sterilen Abdeckung kann ich die Revision am Herzeinschnitt vornehmen (denn diesen haben wir bis jetzt offengelassen). Es ist alles sauber. Kein Blut rund um das Herz. Erstaunlicherweise funktioniert es gut und seine Kraft ist ausreichend, aber der Druck bleibt zu tief – trotz all unseren Bemühungen, ihn aufrechtzuerhalten. Ist der Kleine womöglich Opfer einer Sepsis geworden? Trotz unserer Antibiotika?

Die Dialyse ist gelegt und läuft. Der Blutdruck steigt ein wenig an und unsere Stimmung hebt sich mit ihm. Mit Monique, unserer Kardiotechnikerin, die sich um unsere Herz-Lungen-Maschinen kümmert, schaue ich, ob wir eine ECMO improvisieren können. Sie bestätigt jedoch meine Befürchtung: Es fehlt uns an Material für so ein Gerät (vom Know-how des Personals ganz zu schweigen).

Einbringung eines Dialysekatheters, am Bett des Patienten

Einbringung eines Dialysekatheters, am Bett des Patienten

Nun schaut Hélène bei uns vorbei. Heute ist ihr letzter Tag. Am frühen Nachmittag kehrt sie in die Schweiz zurück. Ich wusste nichts über ihre fotographischen Fähigkeiten, ihre Bilder sind wirklich wunderschön. Nachdem sie mit Freude jeden von uns einzeln fotografiert hat, fehlt nun noch das Gruppenfoto. Wie die Fussballer gruppieren wir uns vor der Kamera. Yann meckert:
«Ich bin erledigt. Schaut doch mal, wie ich aussehe.»

Tatsächlich hat er einen Dreitagebart (zwei Nächte hat er bereits auf Deck unseres wild schaukelnden Schiffs durchgemacht) und scheint sich heute mit Knallteufeln die Haare gekämmt zu haben. Wie dem auch sei, wir lassen ihm keine Chance, packen ihn und nehmen ihn in die Mitte unserer Gruppe.

«Alles gut, Yann. Mit Photoshop kriegen wir das hin. Wir können dir sogar ein Brushing verleihen, ganz à la Donald. Kanariengelb inbegriffen.»

Diese Bemerkung hat uns allen ein Lächeln aufs Gesicht gezaubert … für das perfekte Erinnerungsfoto.

Evelyne hat das Kind von heute fertig vorbereitet. Es schläft. Das Kind leidet an Blausucht und hat zusätzlich eine andere Herzerkrankung, die sehr selten und äusserst schwer zu beheben ist. Sozinho wollte, dass wir das Kind zusammen operieren. Er ist bereits dabei, den Thorax zu desinfizieren. Wir verabschieden uns alle herzlich von Hélène. Mit vielen Umarmungen. Sie ist sehr aufgewühlt, einerseits natürlich aufgrund der Erfahrung, aber vor allem wegen des kleinen gebeutelten Kriegers, den sie so liebgewonnen hat, ihn wie auch seine Mutter. Nun sieht sie ihn langsam schwinden, trotz all unserer Bemühungen, ihn am Leben zu erhalten.

Vier Stunden später. Die Operation ist gut verlaufen. Es war eine schwierige und lange Operation, aber alle Werte sind gut. Mitten in der Operation hat es plötzlich an der Fensterscheibe des Operationssaals geklopft: Hélène, die uns ein letztes Mal zum Abschied zuwinken wollte. Sie hatte Tränen in den Augen. Wir antworteten ihr mit erhobenem Daumen.

Wir haben uns dann entschieden, die zweite geplante Operation nicht durchzuführen. Da wir die erste Operation auf die Intensivpflege verschieben mussten, ist es nun schon spät und das Team ist zu müde.

Ich schaue beim kleinen Krieger vorbei. Er sieht etwas besser aus, aber die Hoffnung bleibt gering, denn nun, am dritten Tag, müssten wir eigentlich nicht mehr nur eine Stabilisierung, sondern einen Fortschritt sehen. Einen Fortschritt der schmerzvoll ausbleibt. Der Junge ist jetzt in einem solch kritischen Zustand, dass er uns jederzeit verlassen könnte.

Sibylle, Carole, Monique, Amanda, Maxime, Yann, Hélène, Evelyne, Guillaume und René

Sibylle, Carole, Monique, Amanda, Maxime, Yann, Hélène, Evelyne, Guillaume und René

 

Evelyne mit Generoso und Americo, alle drei Pflegefachleute Anästhesie

Evelyne mit Generoso und Americo, alle drei Pflegefachleute Anästhesie

 

René Prêtre, umgeben von Chirurgen des Institus ICOR, Yann und Carole, während eines Eingriffs

René Prêtre, umgeben von Chirurgen des Institus ICOR, Yann und Carole, während eines Eingriffs